Zusammenleben der nationalen und ethnischen gruppen in völgység vom zweiten weltkrieg bis in die gegenwart

6. Organisationen der ethnisch-nationalen Gruppen in Völgység

Ich habe versucht, die Bestrebungen der lokalen ethnischen Gemeinschaften auf der Grundlage der Fachliteratur über die lokalen Organisationen – und zum Ziel aufgrund eigener Forschungen – zu ermitteln. Das System der Unterrichts-, Kultur- und Wirtschaftseinrichtungen des Völgység vor 1945 war von einem spezifischen, auf konfessioneller Basis beruhenden Schulsystem und von einer ausgedehnten Struktur von Vereinen und Genossenschaften gekennzeichnet; das lokale Spezifikum resultierte aus der Mehrheit der deutschen Nationalität. Die Unterrichts- und Kultursphäre war der Schauplatz der ungarischen staatlichen Magyarisierungsbestrebungen; lokale und regionale geschichtliche Forschungen – Füzes M. (1979,1985,1990), Kaczián J. (1991,1991a ), Szita L. (1979, 1980, 1982, 1985, 1991) _ belegen, dass der Muttersprachunterricht  und die Vereine als Territorien der Selbstorganisation und der lokalen Autonomie für die deutsche Bevölkerung in den Dörfern mit deutscher Mehrheit – und so auch in Völgység – mehr oder weniger gesichert waren. Typisch ist die Tatsachen dass in 36 von insgesamt 43 vor allem kirchlich betriebenen Volksschulen des Kreises Völgység im „einheitlichen“ System nach 1941 deutscher Nationalitätenunterricht erteilt wurde, der im Großen und Ganzen dem sog. zweisprachigen Unterricht des Typs B vor 1935 entsprach (Füzes M. 1979, szenczi L. 1983, Abb. 22).

Die Tätigkeit der während des Weltkriegs eigene wirtschaftliche und kulturelle Ziele formulierenden deutschen Organisationen in dem als ein Kerngebiet des Ungarndeutschtums geltenden Völgység spiegelte die widersprüchlichen Verhältnisse der Zeit wider. Es lässt sich feststellen, dass die schuldhafte Tätigkeit der Leiter des Volksbunds – ohne hier die Verantwortung der ungarischen Regierung ausklammern zu wollen – in der Nachkriegszeit schwerwiegende Folgen hatte: Als sich das Flüchtlingsproblem und die Bodenfrage sich mit der Bestrafung der Kriegsverbrecher verband, wurde während der Umsetzung die gesamte ungarndeutsche Minderheit zum Opfer.

György Bodors Idee eines Seklerkomitates zur homogenen Ansiedlung der Sekler aus der Bukowina war gescheitert; es konnte keine tabula rasa auf der Ausschließung und Ausgrenzung des örtlichen Deutschtums aufgebaut werden. Die antidemokratische und antihumane Art und Weise der Ansiedlung war mit dem Bekämpfen des Widerstandes der lokalen Verwaltung und der örtlichen Bevölkerung verbunden und machte auch die Siedlergruppe zu Opfern.

Eine ausdrücklich lokale Besonderheit waren die autonomen Organisationen der Bukowinaer Sekler und anderer Seklergruppen, die im Interesse des Fortbestehens der Siedlergruppen in Form eines in erster Linie auf Absonderung beruhenden Systems von Genossenschaften zustande kamen. Der Konzeption eines Seklerkomitates lagen die Enteignung des deutschen Vermögens, die konzentrierte Ansiedlung der Siedler und die Schaffung ihrer territorialen Autonomie zugrunde, wobei auch wirtschaftliche und kulturelle Zielsetzungen artikuliert wurden. Die Ergebnisse dienten der Integration, die Dörfer mit nunmehr gemischter Bevölkerung wurden ja trotz aller Gegensätze und Schwierigkeiten zu Schauplätzen des Zusammenwohnens und Zusammenlebens. Hier stellte ich auch die unterschiedliche Wirtschaftskultur der ortsangesessenen Deutschen und der Sekler aus der Bukowina dar.

Bedingt durch die von den lokalen Merkmalen abweichenden Besonderheiten in der Kultur der Siedler und durch die besonderen Umstände ihrer Ansiedlung nahm ihre Integration eine längere Zeitspanne in Anspruch. Die Kräfte, die mit den Wahlen im Jahre 1947 an die Macht kamen, vernichteten 1948 nicht nur die Autonomie der Sekler sondern jede frühere Autonomie samt aller Errungenschaften der Koalitionsperiode. Für die Gruppen der lokalen Gesellschaft blieb nur die Familie als Gemeinschaft, und es war der Wohnort, der – wenn auch mit gewissen Schranken – die Bildung von Gemeinschaften ermöglichte, die gemeinsam mit Familien anderer Herkunft und anderer Nationalität gebildet wurden. In der kurzen Koalitionsperiode wurden die früheren Organisationsrahmen zum Teil aufgelöst zum Teil blieben sie erhalten, für die deutsche Minderheit bestand jedoch keine Möglichkeit mehr zur Gründung eigener Organisationen. Während die Schule für Siedlerkinder in erster Linie ein Kanal der Mobilisation war, brachte sie für Kinder deutscher Nationalität eine zwangsweise Assimilierung, zumal es von 1945 ganz bis 1957 keinen Nationalitätenunterricht gab.

 Nach der wirtschaftlichen Integration der Siedlergruppen in Völgység kam es Ende der 1970-er Jahre auch zur kulturellen Integration. Der Ausgleich der Volkskulturen spielte sich auf der Siedlungsebene ab. Infolge der mit der Industrialisierung verbundenen Modernisierung übernahmen die feierlichen Anlässe die Rolle des Alltags bei der Überlieferung der Traditionen wie auch die direkte Überlieferung von Generation auf Generation der organisierten Traditionsübergabe weichen musste. Die traditionspflegenden Vereine des Völgység ragen sowohl mit ihrer Zahl als auch mit ihrer Vielfalt unter den Mikroregionen des Komitates hervor. Im Ergebnis des Urbanisierungsprozesses machten die verschiedenen ethnisch-nationalen Gruppen der zuziehenden Dorfbevölkerung Bonyhád zu einem Zentrum mit mehreren Kulturen. Die Erhaltung der Volkskultur der Deutschen und der Bukowinaer Sekler wurde organisiert und institutionalisiert. Die Wechselwirkungen der beiden Kulturen zeigen sich nach mehreren Jahrzehnten des Zusammenlebens nicht nur in der gegenseitigen Übernahme von wirtschaftlichen Bräuchen, sondern auch in der Übernahme der Bräuche der Ernährung und der Festtage – ein solcher Brauch ist etwa das Begehen des Weinlesefestes. Es begann die wirtschaftliche und kulturelle Integration der Romas, die Vervollkommnung dieses Prozesses ist eine Aufgabe der Zukunft.

Weil ich die traditionspflegenden Ensembles des Völgység, die die ethnische Gliederung widerspiegelten, nach der politischen Wende 1989/90 mit einem Fragebogen erfasst habe, ermöglichten ihre bis in die Gegenwart andauernde Umwandlung in Zivilorganisationen sowie die spätere Gründung der Minderheitenselbstverwaltungen einen vergleich der Volkskultur der auf diesem Gebiet lebenden Ethnien. Im Zuge der Modernisierung ging das spontane Erleben der deutschen, der lokalen ungarischen Volkskultur und der der Bukowinaer Sekler verloren. Die Erhaltung erfolgt in organisiertem und institutionalisiertem Rahmen, und zwar mit Hilfe eines Netzwerks aus örtlichern und Minderheitenselbstverwaltungen, kulturellen Einrichtungen, Zivilverbänden und Museumseinrichtungen. Die Vielfalt der Volkskultur stellt ein attraktives Wirtschaftspotential für den Tourismus dar (Abb. 27).

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